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Sonntag, 29 Januar 2017 10:47

„Golanhöhen“ von Nartum

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Fast 38 Jahre später: Dennis sitzt auf dem Stuhl, links von ihm der Vater und rechts die Mutter. Um sie herum Dorfbewohner, die die Filmdreharbeiten 1978/79 miterlebten. Ganz rechts Regisseur Hans-Joachim Herbst. Fast 38 Jahre später: Dennis sitzt auf dem Stuhl, links von ihm der Vater und rechts die Mutter. Um sie herum Dorfbewohner, die die Filmdreharbeiten 1978/79 miterlebten. Ganz rechts Regisseur Hans-Joachim Herbst. Millert

Vor fast 40 Jahren wurde Film „Ein Dorf wie jedes andere“ gedreht

Bericht aus dem Sonntagsjournal vom 29.01.2016 von Wolfgang Millert

Kürzlich wurde der erste Teil des Dokumentarstreifens „Ein Dorf wie jedes andere“ im „Nartumer Hof“ gezeigt. Er ist 1978/79 für das NDR-Fernsehen gedreht worden und ging im Jahr darauf in einer dreiteiligen Serie über den Sender. Am vergangenen Sonntag wurden die anderen beiden Teile im voll besetzten „Hoppen- Saal“ gezeigt. Auch Hans- Joachim Herbst, damaliger Regisseur, Fernsehredakteur und Autor, war eigens aus Hamburg angereist.

Zum gemeinsamen Foto mit einigen Dorfbewohnern, die bei den damaligen Dreharbeiten dabei waren, gesellte sich auch der heute 38-jährige Dennis Przigoda mit seinen Eltern Elke und Bernd. Eine Szene zeigt die Familie im Mai 1979 bei Dennis‘ Taufe in der Gyhumer Margarethen- Kirche.

Die dokumentarische Filmhandlung begleitete und kommentierte seinerzeit der Schriftsteller Walter Kempowski. Dessen Tochter Renate empfand damals den „Tanzpalast Wehldorf“ von Harry Meyer mit Livemusik als prima Jugendtreffpunkt, weil man sonst ja nichts anderes „hier auf dem Land“ hat. Eckhard Itzek beklagte, dass es für die Jugend nur Feuerwehr und Schützen im Dorf gäbe. „Hier tritt man sich nicht so häufig auf die Füße wie in der Stadt“, stellte er fest.

Ortsbeauftragter Bösch wollte keinen Jugendraum in Nartum, weil man damit in Hesedorf schlechte Erfahrungen damit gemacht hatte. Sparkassen-Rendant Eckhard Schnaars, Pastor Michael Stier und Bürger Günter Röhrs plädierten jedoch vehement dafür. Indes, erst mehr als 30 Jahre später wurde der Wunsch erfüllt: Heute gibt es für die Nartumer Jugend mit dem „Fight Club“ ein eigenes Domizil.

Bauer Hans Borchers nahm seinen Sohn zeitig von der höheren Schule, weil der nach seiner Meinung in den letzten drei Jahren da sowieso nichts mehr für die Landwirtschaft dazu lernen könne. Walter Kempowski beklagte, dass es keinen Schmied, Stellmacher und Schneider mehr im Dorf gab. An der ehemalige Nato-Raketenstation auf dem Bunkerberg wurde man mit Schildern „Willkommen im Kugelhagel“ oder „Golanhöhen von Nartum“ empfangen.

Bauer „Opa Mahnken“ beackerte 30 Morgen Land mit Korn und Runkeln, er hielt fünf Kühe. Das reichte Ende der 70er Jahre nicht zum Überleben. Da habe es Kollege Johannes Petersen mit 150 Stück Rindvieh und Spaltenboden-Stall viel besser.

Fritz Carstens, unvergessener Fotograf und Amateurfilmer, führte seit 1954 seine Landschlachterei und verteidigte vehement die Eiche vor seinem Grundstück, die 1907 dort von seinem Vater gepflanzt worden war. Der Baum sollte im Zuge der Ortsdurchfahrt gefällt werden.

Der alte Hermann Brüning fristete in seinem Haus zwischen Bergen von Schuhen, die vom Keller bis unters Dach reichen, ein jammervolles Dasein. Frau und Kinder hatten ihn längst verlassen. Der Landkreis drohte mit Zwangsräumung. Auch bei den Schützenversammlungen saß der bedauernswerte Eigenbrötler ganz alleine am Tisch. Während Jagdpächter Georg Munk zufrieden feststellte, dass Nartum von idealer Natur umgeben sei, bedauerte Walter Kempowski: „Unser schönes Stellingsmoor wandert in die Blumentöpfe der Großmärkte.“ Das Friedhofstor in „Unter- Nartum“ zierte der Spruch. „Wer hier einzieht, zieht nicht wieder aus“. Das Schlussbild des Films „Ein Dorf wie jedes andere“ war dem 4000 Jahre alten Großsteingrab „Hünenkeller“ unter einer Eiche am Rande des Dorfes gewidmet.

Die Zuschauer im „Nartumer Hof“ verharrten ergriffen einen winzigen Augenblick, klatschen dann dem sichtlich gerührten, sich verneigenden Regisseur von damals, Hans-Joachim Herbst, begeistert Beifall.

Filmfortsetzung nicht ausgeschlossen

Dass die Vorführung des Films „Ein Dorf wie jedes andere“ nach fast 40 Jahren am Ort seines Entstehens zustande kam, ist Frank Jagels, der als Logbuchführer Vorstandsmitglied beim Nartumer Hafenverein ist, zu danken. Er besorgte den Streifen vom NDR und knüpfte Kontakte zu Regisseur Hans-Joachim Herbst. Es wurde gemeinsam überlegt, einen weiteren Streifen über Nartum zu drehen, in dem die Veränderungen innerhalb des Dorfes in den Vordergrund gerückt werden sollten.

Dazu hatte Herbst auch schon einige Ideen parat, wie so ein Film inhaltlich aussehen könnte.

Auf jeden Fall müsse es eine Person sein, die eine kritische Distanz zu ihrem Dorf einerseits und eine enge Verbundenheit mit den hier wohnenden Menschen andererseits habe. Das Dorf lebt von seinen Bauern, wie sieht es damit aus? Schwere Arbeit, oder das Geld durch Verpachtung oder Verstromung leichter verdienen? Welche Geschäfte und Handwerksbetriebe gibt es noch, ist ihr Fortbestand gesichert?

Die Einflüsse der EU in Nartum sollten beleuchtet werden. Wie sieht es mit Wohnraum aus? Das Problem der Vereinsamung von Menschen – selbst in der Stadt gibt es allerorten Singles; oder findet man hier noch drei Generationen unter einem Dach? Der Umgang mit Fremden und Flüchtlingen kann thematisiert werden. Fühlt man sich von den Politikern „da oben“ auch nicht mehr richtig vertreten? Nicht zuletzt gehört der seltsamste Hafen der Welt auf der grünen Wiese hinter dem „Sonnenwinkel“ als absolutes Kuriosum zum Themenkreis.

Gemeindebürgermeister Lars Rosebrock, der unter den Zuhörern weilte, freute sich über das große Interesse der Anwesenden und versprach, die Angelegenheit tatkräftig mit anzuschieben.

Der Anfang wurde bereits am Donnerstagabend gemacht, als sich eine Gruppe Interessierter im Dorfarchiv einfand, um erste Ideen zu sammeln und Möglichkeiten zur Realisierung eines neuen Films auszuloten.

Mit Regisseur Herbst wird man in engem Kontakt bleiben.

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