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Donnerstag, 02 Januar 2020 17:32

Aus Projekt wird eine Firma

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Stefanie Hoyer und ihr Freund Benjamin Hermann posieren auf einer Messe in Bremen vor ihrem Bus. Beide sitzen in einem Rollstuhl, der mit Extra- Rädern versehen und damit geländegängig ist. Stefanie Hoyer und ihr Freund Benjamin Hermann posieren auf einer Messe in Bremen vor ihrem Bus. Beide sitzen in einem Rollstuhl, der mit Extra- Rädern versehen und damit geländegängig ist.

Nach Schulbus-Umbau: Gelähmte Nartumerin und ihr Freund bringen Rollstuhlzubehör zu Kunden

Bericht aus der Zevener Zeitung vom 2.1.2020 von Bert Albers

Dieses Duo ist nicht zu stoppen: Kaum haben die Nartumer Stefanie Hoyer und ihr Freund Benjamin Hermann ihren US-Schulbus umgebaut, widmen sie sich dem nächsten Vorhaben. Statt mit dem gelben Gefährt zu verreisen, soll es Aufmerksamkeit auf ihre eigene Firma lenken: Deren Angebot richtet sich, wie könnte es anders sein, an Rollstuhlfahrer.

Seit 25 Jahren sitzt Stefanie Hoyer im Rollstuhl. Ihre Querschnittslähmung ist Folge eines schweren Autounfalls, den sie als Beifahrerin erlitt. Viele Leser fieberten mit, als die ZEVENER ZEITUNG 2018 über die Pläne der heute 40-Jährigen und ihres Freunde berichtete. Um gemeinsam reisen zu können, wollten sie einen amerikanischen Schulbus zu einem barrierefreien Wohnmobil umbauen. „Renate Schoolbus“ betitelten sie ihr Projekt, weil Hoyers Rollstuhl von allen nur Renate genannt wird. Überall im deutschsprachigen Raum verfolgten bei Youtube und im Blog nicht nur Rollstuhlfahrer, wie sich das Vorhaben entwickelte.

Zu sehen gab es fast neun Monate harter Arbeit. „Eines war klar: Erst mal musste alles raus“, erinnert sich Stefanie Hoyer, die meist Steffi genannt wird und vor allem für die Detailplanung zuständig war. Ihr Freund, ein gelernter Fernmeldemonteur, erweiterte unterdessen seinen handwerklichen Horizont. „Wovor ich echt Respekt hatte, war das Schweißen“, erzählt er. Doch auch das hat er hinbekommen. Der Rollstuhllift wurde von einer Firma eingebaut. „Den Rest haben wir selbst gemacht“, berichtet Hermann (29).

Zwar gab es tatkräftige Unterstützung von Freunden, kostspielig war die Sache trotzdem: 57 000 Euro verschlangen Kauf und Umbau des Busses. Die Idee, einen Teil davon per Crowdfunding reinzuholen und den Spendern im Gegenzug die Nutzung des Busses zu ermöglichen, scheiterte. „Das wurde nicht angenommen“, wundern sich die beiden immer noch. Denn Stefanie Hoyer wird kaum die einzige sein, die trotz Handicaps gerne mal individuellen Urlaub erleben möchte. Aber vor allem Rollstuhlfahrer waren mit Blick auf „Renate Schoolbus“ skeptisch. „Als wir 2018 auf einer Reha-Messe waren, haben viele gesagt, dass das nichts wird.“

Heute nennen „Steffi“ und „Benni“ den einzigen rollstuhlgerechten und autarken US-Schulbus Deutschlands in privater Hand ihr Eigen. Küche, Bad, Betten, Fernseher und Sofa – es fehlt an nichts. Eine Solaranlage und Akkus versorgen den Bus mit Energie, und Wasser hat er auch an Bord. Dennoch nahm das Paar erst mal Abstand davon, den Traum von der Nordkap-Reise zu realisieren. Die beiden hatten Angst, dass die Heizung vielleicht nicht die Leistung bringt, die am Nordpolarmeer nötig ist. Seit einem Kurzurlaub an der Müritz und einem mehrtägigen Festivalbesuch wissen sie aber sicher, dass ihr Bus reisetauglich ist, auch wenn noch die eine oder andere Kleinigkeit zu erledigen ist. „Man ist nie fertig“, unterstreicht Stefanie Hoyer. „Das ist wie mit einem Haus“, fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. Und vor allem habe der Umbau eines gelehrt: „Geht nicht, gibt‘s nicht.“

Entsprechend mutig gehen Hoyer und Hermann an die Umsetzung ihres nächsten Projektes, mit dem sie sich eine Existenz aufbauen wollen. Wenig überraschend heißt die Firma „Renate Schoolbus“. Der Bus spielt dabei eine wichtige, aber nicht die Hauptrolle. Steffi und Benni wollen Produkte für Rollifahrer an die Frau und den Mann bringen, die praktisch und optisch ansprechend sind. Jeans, die so geschnitten sind, dass sie weder drücken noch rutschen. Oder Jacken, deren Ärmel beim Rollen nicht an den Rädern durchscheuern.

Auch Zuggeräte gehören dazu. Die lassen sich mit wenigen Handgriffen an den Rollstuhl montieren und machen daraus ein E-Dreirad. Klemmt man zudem sogenannte Strap-on-Wheels an den Rolli, dann gibt es kaum noch Hindernisse, die den Fahrer stoppen können. Seit sie dieses Zubehör nutzt, sei sie deutlich selbstständiger, schwärmt Hoyer. „Ich konnte vorher nie mit dem Rolli ans Wasser.“ Jetzt könne sie sowohl den Strand queren als auch ins Watt. Dass es entsprechende Produkte gibt, wissen sie und ihr Partner von Messen und aus dem Internet. Doch die Suche danach sei mühsam.

Deshalb soll “Renate Schoolbus“ mehr sein als ein Online- Shop, der mit Sanitätshäusern kooperiert. Die Firma will die Produkte zu den Kunden bringen. Die können sich das Duo zum Beispiel für Rolli-Partys nach Hause bestellen.

Im Februar soll zudem ein Tourneeplan veröffentlicht werden. Mit dem Schulbus sowie einem Trailer, der gerade hergerichtet wird, wollen Hoyer und Hermann durch norddeutsche Städte ziehen. Der Trailer dient als „mobiler Showroom“, während der Bus Blickfang und Unterkunft der beiden Besitzer ist.

Die Bekanntheit, die das Schulbus-Projekt ihnen bescherte, soll helfen, die Firma in Gang zu bringen. „Wir haben uns einen Namen gemacht in der Rolli-Szene“, sind sie sicher. „Und wir können etwas anbieten, was nicht jeder macht.“

Gelesen 3820 mal Letzte Änderung am Sonntag, 05 Januar 2020 17:36
Frank Jagels