Mittwoch, 06 Juni 2018 11:04

Eine vergiftete Beziehung

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Angelika Klüssendorf ist keine Frau der roten Teppiche. Fotografieren lässt die Autorin sich nur äußerst ungern. Wir haben sie überredet. Angelika Klüssendorf ist keine Frau der roten Teppiche. Fotografieren lässt die Autorin sich nur äußerst ungern. Wir haben sie überredet. Jung

Angelika Klüssendorf liest im Haus Kreienhoop aus ihren Romanen „April“ und „Späte Jahre“

Bericht aus der Zevener Zeitung vom 06.06.2018 von Bernhard Jung

Wenn die Kempowski- Stiftung Haus Kreienhoop in Nartum zu einer Veranstaltung einlädt, kann man immer von etwas Besonderem ausgehen. Diesmal war es Angelika Klüssendorf, eine beachtenswerte Schriftstellerin, die aus ihren Romanen „April“ und „Jahre später“ vortrug.

Mangelnde Lebenserfahrung kann man ihr weiß Gott nicht unterstellen. Sie kennt die tristen Seiten des Lebens und das handfeste des Arbeitsalltages, ob im Kuhstall oder im Vertrieb eines DDR-Betriebes. Doch Schriftstellerin wollte sie immer werden, und zwar die größte in der DDR, das haben ihr ehemalige Mitschüler in Erinnerung gerufen. Sie meint es aber ironisch. Doch es ist ihr gelungen, ganz oben zu stehen. Trotz großem Erfolg auf der literarischen Bühne ist ihr die leise Zurückhaltung geblieben, hat sie die Bodenhaftung nicht verloren und ihre Vergangenheit nicht verlassen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihre Romane auch eine ordentliche Portion autobiographischer Züge enthalten.

„April“ heißt ihre Romanfigur, nicht der Monat, sondern ein Song von Deep Purple war der Namensgeber, „April, eine schwere Zeit...“. Ein DDR-Mädchen, unscheinbar und mit wenig Selbstvertrauen findet ihren „Prinzen“, einen Mediziner aus gutem Hause und dem Westen der Republik. Gegensätze ziehen sich an, so meint man. Das mag für den Anfang stimmen, doch mit der Zeit werden diese Gegensätze allzu oft trennend, gegenseitiges Desinteresse mutiert zur Abneigung und Feindschaft. Die anfänglichen Unterschiede des Paares haben sich nicht verflüchtigt, sie sind geblieben und werden jetzt, wo die Neugier verschwunden und der Nebel der Liebe verflogen ist, wieder frei gesetzt, toxisch sind die jetzt und zum Gift der Beziehung geworden.

Gesellschaftlich aufgestiegen, wollte April doch immer auch eine „Tussi“ sein, ihre spontane „Verrücktheit“ war ja geblieben. Echte Tussis haben sie dann im Streit so genannt, das hat sie gefreut.

Klüssendorfs Romane, die zu einer Triologie geworden sind, sind mit 150 Seiten recht kurz, aber mit verdichtetem Inhalt. Einige Jahre hat sie daran gearbeitet und sie zig Mal umgeschrieben und korrigiert, so lange, bis jeder Satz zum nächsten passt. Wie ein sehr detailliertes Puzzle, jedes Stück ist einzigartig, und wer genau hinschaut, entdeckt das fehlende Ende des kleinen Grashalmes genau im anderen Teil des nächsten Puzzlestückes wieder. Alles passt zusammen.

Diese Detailgenauigkeit findet sich in Klüssendorfs Romanen wieder und nimmt den Leser mit in die Welt ihrer Geschichten. Man braucht für diese Romane keine Interpretationshilfen, einfach aufmerksam lesen, reicht schon. Fazit des Abends: Bezüglich Literatur und Musik herrscht bei Kempowski schon eine gewisse Lufthohheit im Kreis.

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