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Mittwoch, 27 April 2016 20:51

Hilferuf aus Erdbebengebiet

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Etliche Nachbeben haben die Bewohner der Küstenregion bewogen, ihre Habseligkeiten aus den Hausruinen zu schaffen. So in der Ortschaft Manta, 27 Kilometer entfernt von Portoviejo, wo Annkatrin Dohrmann lebt. Auch sie und ihre Gastfamilie fühlen sich seit dem starken Nachbeben von Freitag im Haus nicht mehr sicher und schlafen im Freien, so wie die Menschen in Pedernales. Etliche Nachbeben haben die Bewohner der Küstenregion bewogen, ihre Habseligkeiten aus den Hausruinen zu schaffen. So in der Ortschaft Manta, 27 Kilometer entfernt von Portoviejo, wo Annkatrin Dohrmann lebt. Auch sie und ihre Gastfamilie fühlen sich seit dem starken Nachbeben von Freitag im Haus nicht mehr sicher und schlafen im Freien, so wie die Menschen in Pedernales. Fotos Christian Escobar Mara, Jose Jacome/dpa

Annkatrin Dohrmann erlebt Naturkatastrophe in Ecuador mit – Nartumerin bleibt bei Gastfamilie

Bericht aus der Zevener Zeitung vom 27.4.2016 von Thorsten Kratzmann

Freiwilliges soziales Engagement, das war es, was Annkatrin Dohrmann im August 2015 „weltwärts“ trieb. Dann bebte im Westen Ecuadors vor zehn Tagen die Erde und das Engagement der 20-Jährigen bekam eine neue Bedeutung. Während die Gegend um Portoviejo, wo sie bei einer Gastfamilie lebt, von Nachbeben erschüttert wird, versucht sie zu helfen und bittet um Hilfe aus Deutschland.

„Weltwärts“ heißt das Programm, mit dem das Bundesentwicklungshilfeministerium das freiwillige soziale Engagement deutscher Abiturienten fördert. Annkatrin Dohrmann bestand die Aufnahmeprüfung und flog im August 2015 nach Ecuador, um im Kolpingzentrum in Portoviejo, einer 200 000-Einwohnerstadt 27 Kilometer von der Küste entfernt, zu arbeiten. Dort erteilte sie Jugendlichen aus sozial schwachen Verhältnissen Sprachunterricht, sie betreute Kinder im Kindergarten, im Waisenhaus oder im Krankenhaus, sie veranstaltete Workshops, sie stand in der Küche und leistete Arbeitswochenenden auf dem Lande ab.

Zum Landeinsatz war die junge Deutsche auch eingeteilt, als die Erde am 17. April bebte. Entlang der Küste stützten Häuser ein, die Strom- und Wasserversorgung wurde unterbrochen, Straßen und Brücken wurden zerstört – auch in Portoviejo.

Als Astrid Dohrmann daheim in Nartum in den Nachrichten vom Beben erfuhr, versuchte sie unentwegt, ihre Tochter zu erreichen, obgleich sie wusste, dass Annkatrin auf dem Lande vom weltweiten Netz abgekoppelt ist. Der erlösende Anruf kam tags darauf aus Köln von Kolping. Annkatrin sei als gesichert gemeldet, erfuhr die Mutter.

Zur Gewissheit wurde das am folgenden Tag, als sich Mutter und Tochter an ihren Computerbildschirmen zu Gesicht bekamen. Seither sammelt Annkatrin Informationen, sie realisiert das Ausmaß der Katastrophe, sie versucht, sich zu orientieren und ihrer Gastfamilie zu helfen. Es gibt keinen Strom, es fehlt an Wasser, Benzin ist nicht zu bekommen. Derweil erschüttern Nachbeben in unregelmäßigen Abständen die zerstörten Regionen.

Das öffentliche Leben in Portoviejo ist zusammengebrochen. Die Innenstadt ist gesperrt, Verwesungsgeruch liegt über dem Zentrum. Wer noch ein Haus besitzt, der schläft dennoch unter freiem Himmel mit dem Kopf auf den Wertsachen. Auch sei es zu Plünderungen gekommen, erzählt Astrid Dohrmann.

Während es Meldungen aus dem Erdbebengebiet kaum noch in die deutschen Medien schaffen, gehen dort die Nahrungsmittel zur Neige. Annkatrin und ihre Gastfamilie hatten vor wenigen Tagen erstmals die Gelegenheit, per Bus ins Landesinnere zu fahren, um Lebensmittel zu kaufen. Nur dort kommt man auch an Bargeld. In Portviejo sind die Banken zerstört oder geschlossen. Hilfslieferungen haben die Stadt bislang offenbar kaum erreicht. Zugleich steigt die Seuchengefahr.

Angesichts dessen ist es nicht abwegig anzunehmen, Annkatrin Dohrmann versuchte alles, um nach Hause zu gelangen. Dem ist jedoch nicht so. „Sie will da bleiben. Sie will helfen. Sie will ihre Gastfamilie nicht alleine lassen“, erzählt die Mutter. Alle Versuche, die Tochter zur Rückkehr zu bewegen, sind gescheitert.

Auch auf den Vorschlag der Kolping-Mitarbeiter, die nach wie vor in Kontakt mit Annkatrin Dohrmann stehen, mag sie nicht eingehen. Das Angebot der Organisation, in den Norden des Landes zu gehen, hat sie ausgeschlagen. Derweil ist die Mutter hin und hergerissen zwischen Verständnis und Angst – Verständnis für die Weigerung ihrer Tochter, die Gastfamilie in der Not zu verlassen, und der Angst um das Leben ihrer Tochter.

Ebenso hilflos steht Astrid Dohrmann auch vor der Frage, ob sie in der nächsten Woche in das Flugzeug steigen soll oder nicht. Gemeinsam mit einer Freundin, so die vor Monaten abgestimmte Planung, wollte sie nach Ecuador fliegen, um Annkatrin und deren Gasteltern zu besuchen. Ein gemeinsamer 14-tägiger Urlaub sollte es werden. Der steht nun in Frage. Denn Annkatrin hat zwei jüngere Brüder.

Jenseits dieser wechselseitigen persönlichen Betroffenheit geht es Mutter und Tochter darum, an die Opfer des Erdbebens zu erinnern, an die Überlebenden der Naturkatastrophe, die Obdachlosen, die Hinterbliebenen. „Die Menschen im Erdbebengebiet brauchen dringend Hilfe“, zitiert Astrid Dohrmann ihre Tochter und richtet in deren Namen den Appell an die Öffentlichkeit, für Ecuador zu spenden – zum Beispiel an: Aktion Deutschland Hilft e.V., Kontonummer: DE62 3702 0500 0000 1020 30 bei der Bank für Sozialwirtschaft in Köln.

Gelesen 3313 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 28 April 2016 20:58
Frank Jagels

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